Bekanntmachung Amerikaner Starnberg 1945
Abbildung: Institut für Zeitgeschichte München

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Die Stunde Null in Starnberg:
Der Einmarsch der Amerikaner

von Angela Müller

In Starnberg endete der Zweite Weltkrieg am 30. April 1945. Aussichtslose Widerstandsaktionen fanatischer Nationalsozialisten wie andernorts fanden nicht mehr statt. Am 27. April hatte Landrat Irlinger in einem Aufruf angeordnet: „Einzelwiderstand oder Widerstand durch Volkssturm wird ausschließlich nur von den Kampfkommandanten der Wehrmacht befohlen.“ Die Bürgermeister und Gendarmerieposten des Landkreises waren angehalten, „jeden Widerstand von Einzelpersonen zu verhindern“.

Doch am 29. April erschienen in der Region um den Starnberger See Truppen der Waffen-SS, um den Abschnitt zwischen München und den Alpen zu sichern und die von Westen anrückenden Amerikaner aufzuhalten. Das XIII. Armeekorps hatte den Lechabschnitt zu diesem Zeitpunkt bereits aufgegeben. Die SS-Abteilung erwartete die amerikanischen Truppen an der Weilheimer Straße bei der Maisinger Schlucht. Für die Starnberger war die Spannung unerträglich. Sie nutzten die Zeit, um sich mit allen notwendigen Dingen zu versorgen, die in den Geschäften noch zu haben war. Aus Angst vor drohenden Kämpfen verbrachten viele Menschen die darauffolgende Nacht in ihren Kellern.

In der Nacht zog die SS ab. Angeblich hatte Irlinger in Landsberg Kontakt mit den Amerikanern aufgenommen und nach seiner Rückkehr mit den SS-Leuten gesprochen. Auch der „Volkssturm“ wurde nicht aufgeboten. Er war 1944 aufgestellt worden und rief alle waffenfähigen Männer zwischen 16 und 60 Jahren, die nicht in der Wehrmacht dienten, zur Verteidigung der Heimat auf. Die Sprengung der Würmbrücke bei Percha konnte jedoch nicht verhindert werden. Um 17 Uhr am 30. April, als die amerikanischen Soldaten bereits in der Stadt waren, zündeten SS-Pioniere eine Sprengladung, die allerdings keine irreparablen Schäden anrichtete.

Alfred Neven DuMont gehörte zu denen, die die Ankunft der Amerikaner miterlebten und gab folgende Beschreibung:

"In der Mitte von Starnberg, am Tutzinger-Hof-Platz (…) hatten sich Menschen versammelt, weit über hundert. Aus den umliegenden Häusern wurden weiße Tücher, eins nach dem anderen, erst zögerlich, dann mehr und mehr, herausgehängt. Ein Mann lief hinzu, außer Atem: ‚Sie kommen!‘ Die Menge wiederholte, fast zögerlich, ungläubig: ‚Sie kommen!‘ Schon von weitem hörten wir das Dröhnen, das laut und lauter wurde. Dann rollten sie vom Westen über die Hanfelderstraße und von der Münchner Straße heran, die riesigen Panzer, Ungetümen gleich, und bremsten angesichts der Menschenansammlung ihre Fahrt, kamen endlich zum Stillstand, weit über ein Dutzend an der Zahl. Nichts geschah, die Stille um uns herum war unheimlich. Endlich erhoben sich einige Hände auf unserer Seite zu einem zögerlichen Gruß. Andere folgten. Eine Frau sagte laut: ‚Endlich ist es vorbei…‘ (…) Dann öffnete sich eine Luke oben an einem Panzer. Vorsichtig lugte ein braun gebranntes Gesicht heraus. Große Augen starrten uns an, wir starrten zurück. (…) Dann kippte die Stimmung. Einer wagte sich vor: ‚Willkommen!‘ Einige taten es ihm nach. Jetzt öffneten sich weitere Panzerluken und über die Straße strömten Männer, alle kräftig, in hellbraunen Uniformen, jeder mit der Waffe im Anschlag, auf den Platz. (…) Ein Älterer, offenbar eine höhere Charge, rief in unsere Richtung: ‚Go on, move‘ (…) So verteilte sich die Menge in kurzer Zeit (…)."

Der spätere Verleger Berthold Spangenberg, damals als „Halbjude“ in der Chemiefabrik Paul Stock beschäftigt, erlebte auf dem Tutzinger-Hof-Platz „die Einfahrt der ersten amerikanischen Jeeps. Sie kommen von der Hanfelderstraße her, also nicht wie uns angekündigt worden war, von Tutzing. Die Jeeps sind offenbar Spähwagen mit Tarnnetzen und Pflanzenresten überzogen, jeweils mit vier Soldaten besetzt. Sie halten jetzt in der Mitte des Platzes. Gleichzeitig kamen weiße Bettlaken aus vielen Fenstern, Zeichen der Übergabe. Mädchen kommen mit Blumen angelaufen, die sie den Soldaten geben. Am Hause des Kolonialwarenhändlers Rieser hängt eine weiß-blaue Fahne, der eben eine zweite am Haus des Nachbarn, dem Hofbauern (Schäffler), folgt.“ Spangenberg „ging auf den ersten Wagen zu. In ihm saß ein Offizier, der Karten studierte. Ich bot mich ihm in englischer Sprache als stadtkundiger Dolmetscher an.“ Durch Spangenbergs Beispiel ermutigt, trat auch der Schuldirektor Goldaté hinzu, der ebenfalls englisch sprach. Der Captain verlangte, als erstes zum Telefonamt gebracht zu werden, wo er sämtliche Anschlüsse abschalten ließ. Bald darauf wurden auch Rathaus und Bezirksamt in Besitz genommen.

Landrat Irlinger und Bürgermeister Hans Deuschl, die beide der SS angehörten, wurden routinemäßig festgenommen und kamen in ein Internierungslager in Gauting. Der erste Kommandant der Zivilverwaltung der Militärregierung, Captain Pasley, ernannte Karl Goldaté zum Bürgermeister. Ein sogenannter Aktionsausschuss, der im Kern auf eine kleine Widerstandsgruppe um Spangenberg zurückging, übernahm die Funktion eines provisorischen Stadtrats. Ihm gehörten neben Spangenberg auch Walter Scheck, Peter Fischhaber, Hans Zellner, Hans Sauermann und Hermann Uhde-Bernays an.

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