Portrait Rupprecht Geiger, München 1949
Rupprecht Geiger, München 1949, Foto: Helga Fietz / Archiv Geiger

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Rupprecht Geiger:
Ein Leben für die Farbe

von Katja Sebald

„Rot ist Leben, Energie, Potenz, Macht, Liebe, Wärme, Kraft.“ So lautet eins der bekanntesten Zitate von Rupprecht Geiger. Der 2009 im Alter von 101 Jahren verstorbene Künstler war Mitbegründer der Künstlergruppe ZEN 49 in München und gilt als einer der weltweit wichtigsten Vertreter der abstrakten Farbmalerei. Einen Großteil seines Lebens hat er der Farbe Rot und deren Wirkung gewidmet. Sein wichtigstes künstlerisches Anliegen war die bedingungslose Ausbreitung von Farbenergie.

Rupprecht Geiger kam am 26. Januar 1908 als einziges Kind des Malers und Grafikers Willi Geiger in der Münchner Elisabethstraße zur Welt. Die Familie lebte zeitweise in Spanien und in Italien, es gab Reisen nach Marokko und auf die kanarischen Inseln. Das südliche Licht hinterließ schon damals großen Eindruck bei Rupprecht Geiger. Sein Vater war Schüler von Franz von Stuck und in den 1920er Jahren ein angesehener Maler in München. Er hatte Lehraufträge in München und Leipzig. 1933 wurde er als „entartet“ gebrandmarkt und aus dem Staatsdienst entlassen. Nach dem Krieg erhielt er eine Professur in München.

Rupprecht Geiger studierte von 1926 bis 1929 Architektur an der Kunstgewerbeschule in München und dann an der Staatsbauschule. Von 1936 bis 1940 arbeitete er als Architekt im Büro von Oswald Eduard Bieber und heiratete 1937 dessen Tochter Monika. 1940 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und an der Ostfront eingesetzt. In Russland begann er zu malen, später wurde er auf Vermittlung seines Vaters Kriegsmaler. Landschaften, Stillleben und erste Portraits sowie zahlreiche Studien in den Tagebüchern sind aus diesen Jahren belegt, die er später als autodidaktische Ausbildung bezeichnete.

Da es der unmittelbaren Nachkriegszeit für Rupprecht Geiger in seinem erlernten Beruf keine Betätigungsfelder gab, konzentrierte er sich auf die Malerei. Ab 1948 entstanden erste abstrakte Arbeiten und eine Reihe irregulärer Bildformate, noch vor den sogenannten shaped canvases des amerikanischen Malers Frank Stella. 1949 war Geiger Mitbegründer der Gruppe ZEN 49: Deren Mitglieder Willi Baumeister, Rolf Cavael, Gerhard Fietz, Rupprecht Geiger, Willy Hempel, Brigitte Matschinsky-Denninghoff und Fritz Winter hatten es sich zum Ziel gesetzt, anknüpfend an die Tradition des Blauen Reiter, die abstrakte Malerei „durch Bild und Wort zu verbreiten, so daß sie Allgemeingut wird, d.h. daß sie bestimmende Aussageform unserer Zeit wird“. Die Künstler sahen die Abstraktion als Sinnbild künstlerischer Freiheit und als demokratische „Weltsprache“. Der kämpferische Ansatz der Gruppe ist in Verbindung mit einer radikalen Abkehr von der jüngsten Vergangenheit und mit der Forderung nach einer kulturellen Erneuerung Deutschlands zu sehen.

Noch bis 1962 arbeitete Rupprecht Geiger als Architekt, unter anderem baute er das Wohnhaus von Lothar-Günther Buchheim in Feldafing aus. Bereits 1951 hatte er einen bedeutenden öffentlichen Auftrag erhalten: Er gestaltete das große Plattenmosaik an der Fassade des Münchner Hauptbahnhofs. 1953 kaufte Geiger das Haus in der Muttenthalerstraße in Solln, wo er bis zu seinem Tod im Dezember 2009 lebte. 1959, 1964, 1968 und 1977 nahm er an der documenta in Kassel teil. 1965 erhielt Geiger eine Professur an der Kunstakademie in Düsseldorf, die er zehn Jahre lang innehatte. Diese Zeit ging einher mit einigen maltechnischen Innovationen: Er arbeitete nun fast ausschließlich mit Tagesleuchtfarbpigmenten, d.h. fluoreszierenden Pigmenten in Acryldispersion, die er mit der Spritzpistole aufbrachte, um möglichst gleichmäßige, feinkörnig verlaufende Übergänge zu erzielen.

Gedrückte Kreise und später Ovale wurden zu seinen bevorzugten Bildmotiven. Immer mehr ging es ihm nun um die Strahlkraft der reinen Farbe, um die Aktivierung des Sehens und die Freisetzung der Farbenergie. Ein großes Thema wurde auch die Wirkung der Farbe in den Umraum und die körperliche Erfahrung von Farbe. So entstanden Ideen zu Farbräumen, in denen er die Farbe von äußeren Störungen isolieren wollte, etwa in einem rundum geschlossenen Farb-Tank oder in einem Rot-Raum, der unter dem Titel Neues Rot für Gorbatschow 1989 erstmals in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus zu sehen war. Der erste Ankauf einer Arbeit von Rupprecht Geiger durch Armin Zweite für das Lenbachhaus hatte in den Siebzigern noch für einen Eklat im Stadtrat gesorgt, wenige Jahre später war er in allen wichtigen Museen vertreten. Auch das Lenbachhaus würdigte ihn schließlich mehrmals mit großen Retrospektiven, zuletzt 2008 zu seinem 100. Geburtstag mit der Ausstellung Rot macht high.

Auch wenn es bis heute Münchner gibt, denen „ihr“ Rupprecht Geiger kein Begriff ist, seine blaue Skulptur vor dem Gasteig aus dem Jahr 1987 kennt jeder, ebenso die von ihm 1989 gestaltete rote U-Bahnstation Machtlfinger Straße, die sogar in einem japanischen Reiseführer als Sehenswürdigkeit erwähnt wird. 2010 wurde zum ersten Todestag das Archiv Geiger in den ehemaligen Atelierräumen in Solln eröffnet. Es wird von Julia Geiger, der Enkelin des Künstlers, geleitet.

Internetseite Archiv Geiger

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