Kunstwerk Rupprecht Geiger E112, 1950
Rupprecht Geiger, E 112, 1950 Eitempera/Leinwand, 55 x 70 cm Foto: Nikolaus Steglich / Archiv Geiger

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Kurz nach der Stunde Null in München:
ZEN 49

von Katja Sebald

Die einstmals leuchtende Kunststadt München war in den zwölf Jahren der NS-Diktatur zur „Hauptstadt der Bewegung“ verkommen. In Deutschland war nicht nur die Kunstentwicklung gewaltsam unterbrochen worden, es hatte auch keine Möglichkeit gegeben, moderne, geschweige denn abstrakte Kunst zu sehen – wenn man von der von den Nationalsozialisten 1937 veranstalteten Propaganda-Schau „Entartete Kunst“ einmal absieht. Entsprechend waren der allgemeine Kunstgeschmack und vor allem auch die Kulturpolitik der Nachkriegsjahre nachhaltig von großem Unverständnis gegenüber allem Neuen geprägt.

Am 19. Juli 1949 gründeten deshalb auf Initiative des britischen Kunstkritikers John Anthony Thwaites und des Malers Rupprecht Geiger sieben Künstler in der Münchner Modernen Galerie Otto Stangl die Gruppe der Gegenstandslosen. Anlass war die Eröffnung einer Ausstellung von Rolf Cavael. Zu den Künstlern der allerersten Stunde gehörten neben Geiger und Cavael die ebenfalls anwesenden Gerhard Fietz, Willy Hempel und Fritz Winter, Gründungsmitglieder waren neben Thwaites auch die Kunsthistoriker Ludwig Grote und Franz Roh. Bald darauf kamen Willi Baumeister und Brigitte Meier-Denninghoff (später Matschinsky-Denninghoff) dazu. In einem Brief vom 25. Juli 1949 erläutert Gerhard Fietz: „Die augenblickliche Situation in der Öffentlichkeit und im Kunstleben drängt nach einem Zusammenschluss der abstrakt arbeitenden Maler, um eine geistige Front zu bilden und der abstrakten Kunst durch gemeinsame Ausstellungen stärkeren Widerhall zu verschaffen.“

Ende 1949 änderte die Gruppe ihren Namen in ZEN 49, im April 1950 fand die erste gemeinsame Ausstellung im Central Art Collecting Point in München statt, die anschließend als Wanderausstellung in verschiedenen deutschen Städten zu sehen war. ZEN 49 war nur wenige Wochen jünger als die Bundesrepublik Deutschland. Die ungefähre Gleichzeitigkeit der beiden Gründungsdaten war keineswegs Zufall, denn die Gruppe sah sich als Wegbereiter einer neuen demokratischen und freiheitlichen Kultur. Die Abstraktion verstanden sie auch als eine von der deutschen Vergangenheit unbelastete „Weltsprache“. Eine Ausstellungstournee durch amerikanische Colleges und Universitäten in den Jahren 1956 und 1957 war Höhepunkt und zugleich Abschluss der Ausstellungsaktivitäten von ZEN 49. Sie zeigte eindrücklich, dass es gelungen war, deutsche Nachkriegskunst international hoffähig zu machen.

Gerhard Fietz – auch er Gründungsmitglied – schrieb, der Name ZEN 49 dokumentiere die geistige Gemeinschaft der Teilnehmer im Bemühen um eine neue Kunst im Nachkriegsdeutschland. Es handelte sich aber nicht nur um einen künstlerischen, sondern auch einen moralischen Neuanfang, zu dem sich die Mitglieder der Gruppe aufgerufen fühlten:

„Jeder von uns Jüngeren stand an einem Nullpunkt. Und wir empfanden dies auch als ernste Aufgabe, ein neues Bild zu entwickeln, das eine Basis und Hoffnung für die Zukunft ist. Denn wir alle waren im Krieg gewesen und wollten ein neues, klares und ethisch eindeutiges Leben verwirklichen, das inhaltlich auch im Bild sich ausdrückt. Aus dieser Haltung heraus haben wir Maler uns auch zusammengefunden.“ – Gerhard Fietz 1986 in einem Brief an Dirk Teuber, hier zitiert nach Jochen Poetter

Der Maler Rupprecht Geiger schildert viele Jahre später aus der Erinnerung sein Erweckungserlebnis mit der Farbe Rot in der unmittelbaren Nachkriegszeit (Originaltext im Archiv Geiger). Er beschreibt weiter, wie er mit einem roten Lippenstift aus einem Care-Paket diesen Farbtupfer im zerbombten München zu malen versuchte.

„Es ist Stunde 0 in Deutschland. Ich gehe in der Theatinerstraße in Richtung Marienplatz vorbei an Schutthalden eingestürzter Häuser. Alles ist leblos, grau, Staub und Asche. – Da vorn ragt aus einem Schuttberg gespenstig, allein noch stehend, als stockwerkshohe Mauerscheibe die Renaissancefassade der Alten Polizei, die beiden seitlich einmündenden Gassen existieren nicht mehr. – Plötzlich sehe ich, von rechts aus der Maffeistraße kommend, eine hellrot aufleuchtende Farbspur in leichtem Bogen über die Straße ziehend. Ein Farbsignal vor makabrer Grau-Kulisse, ein noch nie gesehenes Rot. Was ist diese Erscheinung? Ein Ami-Mädchen in leuchtrotem Pullover ist einem Jeep entstiegen und hat schnell laufend die Straße überquert…“

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