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Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Stefan Moritz Becker
Starnberg, New York, Starnberg

Starnberg, 23. April 2023

Bernhart Schwenk, Kurator für Gegenwartskunst an der Pinakothek der Moderne, München

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
lieber Benjamin Tillig,
liebe Justina Becker, liebe Familie und Freunde von Stefan,
sehr geehrte Anwesende,

wer sich mit dem Werk von Stefan Moritz Becker beschäftigt, dem fällt auf, dass sich dieses in einem erstaunlich weiten medialen Spektrum bewegt dafür, dass man ihn vor allem als Maler bezeichnet – und auch er sich auch selbst so bezeichnet hat. Was aber macht dieses komplexe Werk aus und wie soll man dieses Schaffen, das sich über vier Jahrzehnte hinweg erstreckt, in einer kurzen Ansprache darstellen?
Lassen wir doch Stefan Moritz Becker selber antworten. Denn ich habe, was ich vorher nicht wusste, in meinem Computer – trotz des Wechsels von Rechnern und E-Mail-Providern – noch die Korrespondenz entdeckt, die ich mit Stefan vor 15 Jahren geführt habe.

Stefan schrieb mir 2008: „Wichtig wäre mir, dass die Vielschichtigkeit, vielleicht Widersprüchlichkeit meiner Ansätze rauskommt. Auf der einen Seite der ortsbezogene Ansatz, das Prozesshafte, Dialogische. Auf der anderen eine mehr „klassische“ abstrakte Malerei. Diese Seiten werden in der Kunstszene von unterschiedlichen Gruppen rezipiert, die mit der jeweils anderen „Szene“ nichts anfangen können oder wollen. Leider.
Überhaupt erscheint es mir, dass bei der Rezeption die einzelnen „Richtungen“ der Kunst einem bestimmten „Look“ zugeordnet werden.“

Sprich, konzeptuelle Kunst hat ein bestimmtes Aussehen (eher trocken).“ Im Gegensatz dazu wird Malerei meistens als rein intuitiv und emotional verstanden. „Für mich stehen meine verschiedenen Arbeiten gleichberechtigt nebeneinander und sind durchaus thematisch untereinander verknüpft. (...) All die Dinge entstehen mehr oder weniger gleichzeitig, oder kehren zyklisch wieder.“

„Da gibt es malerische Interventionen in einem vorgefundenen architektonischen Umfeld, davon wiederum Fotos, d. h. Fotografien von bemalten Räumen und Fenstern, die zwar Relikte eines Projekts sind, aber auch eigenständige Bilder sind, und die wie Malerei aussehen.“
Stefan sagte: „Ich male nicht nach Fotos. Ich fotografiere Malerei.“ Und „...dann gibt es noch die gemalten Abstraktionen auf Leinwand oder Papier. Und: reine Fotografie, sogar Fundstücke.“

In den E-Mails zwischen mir Stefan und mir fand ich auch folgendes: „Malerei berührt mich sehr stark und zwar egal, ob sie figürlich ist oder abstrakt. Ich sehe in den Bildern“ – unabhängig vom Medium – „das eingespeicherte Licht und damit auch einen Teil der Lebenszeit des Menschen, des Künstlers. Das ist eine sehr emotionale Angelegenheit. Irgendwann ist das Licht nicht mehr da. Es einfangen zu wollen, ist definitiv absurd. Trotzdem versuche ich von verschiedenen Seiten an etwas, was ich als Kern empfinde, heranzukommen.“

Uli Schägger von der „Stiftung Klang. Licht“ in Polling, der mit Stefan in engem Austausch stand, schrieb in einem wunderbaren und erhellenden Text: „Die Titel von Beckers Bildserien und Werkkomplexen, nicht nur der Fotos, lauten (...) Sommerlicht, Föhnlicht, Münchner Licht oder auch Sommersonnenwende, Autumnal Equinox und Solar Eclipse. Seine Arbeit kreist (...) ums Licht (...). Seine Atelierräume (...) lagen immer so, dass durch die Fenster das Licht der Sonne bis zu ihrem Untergang hineinfällt, so zum Beispiel das Loft in Brooklyn mit direktem Sonnenlicht von morgens bis abends, das Münchner Atelier in Berg am Laim und das Sommeratelier in Palazzuolo mit dem Licht der Nachmittagssonne.

Ein typisches Szenario für einen Werkkomplex sah folgendermaßen aus: Die Glasfenster des Atelier- oder Installationsraums erhalten einen transparenten, monochromen Farbauftrag, der dem Ort und der Lichtstimmung der neu entstehenden Arbeit entspricht. Die bemalten Fensterflächen wurden so selbst zu Bildern. Das durch die farbigen Fenster gefärbte Sonnenlicht fiel im nunmehr transformiert erstrahlenden Raum auf Boden und Wände, dem Sonnenlauf, der Helligkeit und der Witterung draußen folgend. Durch das Licht im Raum und das „Nichtlicht“, der Schatten, bildeten sich langsam verändernde Farbflächen und Linienmuster, die vor Ort mir Mitteln der Malerei reflektiert wurden. Fensterflächen, Wandflächen, Bodenflächen – alles wurde zum „Bild“, zum Gemälde. Nun fotografierte Stefan Moritz Becker diese Bilder. Für bestimmte Wahrnehmungseffekte ... wie zum Beispiel die Assoziation der zur Lichtfarbe komplementären Farbe als Folge des Simultankontrastes, die nicht fotografierbar sind, standen dem Künstler die Möglichkeiten der Malerei zur Verfügung.“

Und Stefan Moritz Becker ergänzt (und ich zitiere hier wieder aus unserer E-Mail-Korrespondenz von 2008): „Licht ist ... das Thema der gesamten Malereigeschichte und bemerkenswerterweise gibt es so selten Darstellungen des Schlagschattens! Meine ortsbezogenen Gemälde sind zwar auch eine Art Sonnenlichtreport, aber etwas ganz anderes als „Spurensicherung“. Sie sind letzten Endes doch „komponiert“. Im Gegensatz zu Sonnenuhren und prähistorische Kalenderbauten geht es mir eben primär um Malerei.“

Zur Malweise von Stefan Moritz Becker: Er benutzte keine Tubenfarben. Vielmehr standen in seinen Ateliers auf Tischen Hunderte von Gläsern mit Farbpigmenten, darunter viele, die „normalen“ Malern nicht (oder nicht mehr) zur Verfügung stehen, entweder weil es sich um selbst gegrabene Erden handelt oder um Industriepigmente, die auf Grund ihrer Giftigkeit nicht mehr produziert werden. Das bringt einen ungeheuren Reichtum an Farbtönen mit sich und durch die Verwendung verschiedenster Bindemittel auch an Oberflächen – alles, von matt bis glänzend. Jedes Pigment kann mit diversen Bindern angerieben werden, mit Kunstharzdispersionen oder Lacken, aber auch solchen, die nicht industriell hergestellt werden wie Ei, fette und trocknende Öle, Magerquark, Hautleim. Jedoch zwingt die Arbeit mit Pigmenten auch zu einer gemächlicheren Arbeitsweise. Man kann nicht einfach eine Tube aufschrauben und loslegen.

Als Pigmentmaler von heute nahm Stefan Moritz Becker also alte Traditionen wieder auf und entschied sich bewusst für einen langwierigen Vorbereitungs- und Malprozess. Im Vergleich zu den Kollegen vergangener Jahrhunderte standen ihm allerdings wesentlich mehr Pigmente zur Verfügung. Das Erlebnis wie aus dem farbigen Staub, manchmal Dreck, manchmal aus Edelsteinen gewonnen, mit Hilfe der Sonne Licht, Leuchten im Bild entsteht, ist immer wieder unvergleichlich.
Und schließlich ein letzter Aspekt: Stefan Moritz Beckers Verbundenheit mit der Musik. Ulli Schägger, den ich vorhin bereits zitierte, schrieb über Stefans Vorgehensweise:

„Wie ein Komponist benutzte er verschiedene Intervalle, das heißt Proportionen. Er hat jahrelang die Proportionen bzw. Bildformate bei seinen Vorgängern studiert und ist mit Musik und mit der klassischen Harmonielehre aufgewachsen. Das befähigte ihn, sein Werk so anzulegen, dass alle seine Formate, ob groß oder klein, zueinander passen. Allerdings handelt es sich nicht einfach um Vervielfachungen einer Grundeinheit, sondern eher um musikalischen Intervallen entsprechende „Zusammenklänge“. Alle Bilder seines Werks stehen in genau definierten harmonischen (und seltener auch disharmonischen) Proportionsverhältnissen zueinander.“

Ich erinnere mich noch gut daran, wie Stefan und ich gemeinsam die Bilder seiner „Tritonus“-Serie in einem Sitzungssaal des Bayerischen Landtags installiert haben – und ich habe beobachten dürfen, wie Stefan sich den Eigenschaften dieses großen Raums näherte – tatsächlich wie einer, der Farben und Rhythmus miteinander erspürte und im Raum zu einer Installation zusammenkomponierte.

Musik gilt als „Zeitkunst“. Und auch im Werk von Stefan Moritz Becker steckt die Zeit als Komponente. Da der Wechsel des Lichts, d. h. die Sonne, immer „mitmalt“, gibt es auch dem zeitlichen Ablauf des Tages folgende Schattenzeichnungen. Zudem spielt bei einigen Projekten die historische Zeit eine wichtige Rolle zum Beispiel bei „Licht im Lazarett“, einer Arbeit, die Becker für eine Baracke der Nazizeit realisierte. Die Arbeit ist immer dialogisch im Kontext einer bestimmten Umgebung mit ihrem natürlichen Licht entwickelt.

Oder, wie Uli Schägger es wunderbar formuliert hat: „Das Hauptthema von Stefan Moritz Becker, das sich durch sein gesamtes Werk zieht, ist die Idee des Licht-Bilds, dem die Zeit eingeschrieben ist.“ Übrigens: ganz untheatralisch! In diesem Sinne der „Licht-Bildnerei“ lade ich Sie jetzt dazu ein, die vielfältigen Vorstellungen von Malerei von Stefan Moritz Becker in dieser Ausstellung zu erkunden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!