Max Irlinger Starnberger Landrat
Max Irlinger nach 1945, Foto: Stadtarchiv Starnberg

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Politische Kontinuitäten:
Max Irlinger

von Angela Müller

Dass ehemalige NS-Amtsträger die Stunde Null umgehen und ihre Karriere auch nach 1945 fortsetzen konnten, ist nicht untypisch für bundesdeutsche Politikerlaufbahnen. Der Jurist und Landrat Dr. Max Irlinger ist allerdings eine besonders schillernde Gestalt.

Irlinger wandte sich schon früh dem Nationalsozialismus zu. 1931 schloss er sich im Alter von 18 Jahren mit der Mitgliedsnummer 44.138 der SS und bald auch dem Reitersturm der SS an. Beruflich entschied er sich nach dem Abschluss des Neuen Realgymnasiums in München 1932 für ein Jurastudium an der dortigen Universität. Im gleichen Jahr trat er in die NSDAP ein mit der Mitgliedsnr. 975.802. Außerdem war er im "Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund" (NSDStB) aktiv.

Nach Beendigung des Studiums ging Irlinger zunächst mit dem SS-Mann Ernst-Heinrich Schmauser nach Nürnberg. Schmauser wurde 1936 Führer des SS-Oberabschnitts Main mit Sitz in Nürnberg. Im April 1937 stieg er in den höchsten SS-Rang eines Obergruppenführers auf. Zu diesem Zeitpunkt erreichte Irlinger den Rang eines SS-Obersturmführers. Ein Jahr später, im April 1938, ging Irlinger zum SD (Sicherheitsdienst), dem Geheimdienst der SS und der NSDAP, wo er als SS-Führer im SD-Hauptamt eine Auslandsabteilung-Abwehr übernahm. Er war also in der Spionageabwehr eingesetzt. Während er die SD-Außenstelle Innsbruck führte, promovierte er 1939 an der dortigen Universität. Das Doktorexamen diente vielleicht auch der Tarnung seiner nachrichtendienstlichen Tätigkeit. Nachdem er im Dezember 1939 zum SS-Hauptsturmführer befördert worden war, ging Irlinger zurück nach München. Weiterhin war er im Auslandsnachrichtendienst tätig (Amt VI des Reichssicherheitshauptamtes). Im Mai 1940 legte er das 2. Juristische Staatsexamen ab, gleichzeitig erhielt er die Ernennung zum Regierungsassessor. Am 1. Juni 1942 wurde er Regierungsrat.

Zur Zeit seiner Heirat mit der 1914 geborenen Maria Katharina Maier im September 1941 war Irlinger bereits am Landratsamt Starnberg tätig. Vom 20. Juni 1942 bis 15. Januar 1943 sowie vom 22. November 1944 bis zum 8. Mai 1945 war er kommissarischer Landrat des Landkreises Starnberg. Während seiner gesamten Zeit am Landratsamt ging Irlinger neben seinem offiziellen Dienst zugleich einem geheimen Dienst beim Auslands-SD nach. Über dessen Aktivitäten ist wenig bekannt.

Der Nachkriegsdarstellung seiner Frau zufolge distanzierte Irlinger sich früh wieder vom Nationalsozialismus und leistete verdeckt Widerstand. So soll Irlinger Anfang Juli 1942 von der Gestapo in Haft genommen worden sein, weil er sich für einen Firmeninhaber eingesetzt haben soll, der mit einer „Halbjüdin“ verheiratet war und von einem NSDAP-Kreisleiter erpresst wurde. Die Umstände sprechen jedoch dafür, dass es Irlinger bei seinem Vorgehen nicht um den Schutz jüdisch Verfolgter ging, sondern um „Sauberkeit“ in der SS, und dass ihn das korrupte Verhalten des Kreisleiters empörte. Nach dem Zeugnis seiner Frau verstand Irlinger sich stets als Kämpfer für Recht und Anständigkeit. Er teilte die Selbstwahrnehmung vieler SS-Leute, die ihre Organisation als Ansammlung von Idealisten sahen. Zu den Anständigen rechneten die Irlingers auch Schmauser, der seit Mai 1941 als „Höherer SS- und Polizeiführer“ in Breslau residierte. Nach eigenen Angaben reiste Maria Irlinger nach Schlesien, um Schmauser dazu zu bewegen, seine Macht zur Freilassung ihres Mannes zu benutzen. Schmauser war zu diesem Zeitpunkt bereits maßgeblich in die Mordmaschinerie der Nationalsozialisten eingebunden. Mitte Juli 1942, als Maria Irlinger seine Freundschaftsdienste zur Befreiung ihres Mannes in Anspruch nahm, begleitete Schmauser Heinrich Himmler bei einem Besuch im KZ Auschwitz, wo sie die Ermordung von Menschen durch Gas „besichtigten“.

Nicht ganz auszuschließen ist, dass Irlinger, der Zugang zu falschen Pässen hatte, einzelnen verfolgten Personen auf persönliche Bitte hin half. So soll Irlinger die jüdische Ziehmutter eines Bekannten außer Landes geschleust haben. Eine systematische Opposition zum NS-Regime ist aber nicht erkennbar. Vielmehr deutet eine phantastische Geschichte, wonach Irlinger angeblich mit einem Sportflugzeug von Frankreich ins Führerhauptquartier im Osten flog, um in letzter Minute Informationen zur bevorstehenden Landung der Alliierten in der Normandie zu überbringen, darauf hin, dass Irlinger 1944 noch fest an den Führerstaat glaubte.

Die Inhaftierung durch die Gestapo und individuelle Interventionen zugunsten Verfolgter werden in der erhaltenen Abschrift von Irlingers Spruchkammerurteil als Beweis für aktiven Widerstand gewertet. Er wurde als „Entlasteter“ eingestuft. Maria Irlinger berichtet allerdings, dass Irlinger mit Unterstützung seines ehemaligen SD-Netzwerks das Spruchkammerverfahren manipulierte, seine „Denazifizierungsschrift“ selbst herstellte und auch die Urteilsbegründung selbst schrieb. Der Freispruch ist also vermutlich eine Fälschung. Die (fingierte) Spruchkammerakte ist heute verschwunden.

Solchermaßen reingewaschen kehrte Irlinger nach Starnberg zurück. Am 4. Juni 1948 wurde er vom Kreistag zum Landrat gewählt und in den darauffolgenden freien Wahlen durch die Bevölkerung im Amt bis zu seinem Tod im Jahr 1969 immer wieder neu bestätigt.

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